Gretchenfrage ?
Halsband oder Geschirr
Warum das Feingefühl manchmal auf der Strecke bleibt
Ist es hundefreundlicher, das Halsband an den Nagel zu hängen und zum Führgeschirr zu greifen? Viele Hundehalter sind davon überzeugt. Doch Hundetrainer warnen vor dem Verlust der Feinfühligkeit.
Früher waren sie Mangelware, heute vertrauen viele Hundebesitzer auf das Führgeschirr. Hundefreundlicher soll es sein. Doch wenn es um die Themen Ausbildung und Leinenführigkeit geht, kommen auch kritische Stimmen auf. Wir wollten wissen, ob Geschirre Hunde zu Zugmaschinen machen und Halsbänder wirklich nur für Hunde taugen, die leicht wie ein Glöckchen an der Leine laufen und sprachen mit der Oberhausener Hundetrainerin und Buchautorin Ramona Teschner.
Zuggeschirre
Geschirre haben ihren festen Platz im Trainingsalltag der 27-Jährigen. Allerdings nur dann, wenn es um konkrete Arbeitssituationen geht. ‚Bei der Fährtenarbeit, Zugarbeiten oder wenn der Hund neben dem Fahrrad läuft, sind Geschirre sinnvoll, weil sie den Hund weniger stören und ungewollten Dauerdruck auf den Kehlkopf verhindern‘, berichtet Ramona Teschner und weist darauf hin, dass Geschirre ursprünglich für Hunde entwickelt wurden, die Lasten ziehen mussten. Sinn und Zweck waren eine möglichst gleichmäßige Lastverteilung bei größtmöglicher Leistungsfähigkeit des Hundes. ‚Zum Führen von Hunden wurden Geschirre jedenfalls nicht eingesetzt‘, lacht die Hundetrainerin.
Passform
Die Zeiten haben sich geändert. Viele Hundehalter möchten es ihren Hunden so bequem wie möglich machen und ihnen auf keinen Fall Schmerzen zufügen. ‚Grundsätzlich eine vorbildliche Einstellung, wobei beim korrekten Einsatz und passendem Equipment nichts gegen das Führen am Halsband spricht‘, wirft die Trainerin ein. Im Gegenteil. Ihrer Erfahrung nach ist das Führen am Geschirr für die Leinenführigkeit sogar kontraproduktiv. Bei langhaarigen Rassen kommt darüber hinaus eine erhöhte Belastung des Haarkleids hinzu, die - auch bei gut sitzenden Geschirren - auf Dauer zu Haarbruch führt. Schlecht sitzende Geschirre führen unabhängig von der Fellstruktur zu Scheuerstellen, vor allem im Bereich der Achselhöhlen. „Beim Kauf eines Geschirrs unbedingt darauf achten, dass es an der Brust nicht zu breit ist. Ansonsten gelingt es dem Hund womöglich, mit den Vorderbeinen herauszuschlüpfen", warnt Teschner. Auch dürfe ein Geschirr keinesfalls verrutschen und sollte - abhängig vom Einsatzgebiet - abgepolstert sein. Falls sich im Fachhandel nichts Passendes findet, hilft sicherlich eine Maßanfertigung. Für die Fährtenarbeit, Man Trailing, Schlittenhundesport, Rettungshundearbeit und Schleppleinentraining gibt es spezielle Geschirre, die optimal out die jeweilige Anforderung abgestimmt sind.
Das ideale Geschirr
Wer bei der Ausbildung seines Lieblingssports auf Geschirre schwört, braucht robustes Equipment mit einem hohen Tragekomfort. Minderwertige Modelle verschleißen schnell und behindern den Hund womöglich auch. Das wirkt sich auf seine Leistungsfähigkeit aus und macht schnell den Kauf eines weiteren, besseren Geschirrs erforderlich. Dann besser gleich auf Top-Ware setzen. Doch woran erkennt man die?
Ganz gleich, ob es ein Fährten- oder ein Dienstgeschirr sein soll: Setzen Sie auf Qualität, damit es auch im härtesten sportlichen Einsatz besteht. Und das bei Wind und Wetter. Womit wir bereits bei einem ganz wichtigen Punkt angekommen sind: dem Material.
Ledergeschirre
Ledergeschirre waren in der Vergangenheit sehr beliebt, erweisen sich aber als weitaus witterungsanfälliger, wenn man sie mit modernen Nylonmodellen vergleicht. Da es in Deutschland oft regnet, muss Leder sehr intensiv gepflegt werden, wenn es auf Dauer geschmeidig bleiben soll. Pflegt man es nicht, wird es steif und spröde. Der Tragekomfort lässt deutlich nach. Der Hund fühlt sich mit dem sperrigen Teil einfach nicht wohl. Lagert man das Geschirr für einige Wochen ein - zum Beispiel in der Garage - setzt es gerne Schimmel an. Teure Ledergeschirre sollten deshalb immer in trockenen Räumen aufbewahrt werden — nicht im Keller oder in der Garage.
Nylon und Neopren
Weitaus pflegeleichter und sehr wetterresistent sind Geschirre aus Nylon. Es gibt auch Neoprenanfertigungen für Freunde des Wassersports. Neopren eignet sich gut fürs feuchte Element, nimmt aber schneller unangenehme Gerüche an als Nylon.
Nylon ist leichter als Leder und somit hervorragend Junghunde und Vertreter leichter Rassen geeignet. Zu empfehlen sind Geschirre mit Neoprenpolsterung, weil sie einen extrem hohen Tragekomfort haben und auch von sensiblen Hunden meistens problemlos akzeptiert werden.
Verstellbar ?
Ebenso wichtig wie das Material ist die individuelle Anpassbarkeit des Geschirrs. Es sollte auf jeden Fall sowohl am Brust- als auch am Bauchriemen verstellbar sein. Und zwar stufenlos und punktgenau. Meistens ist der Brustriemen von 27 bis 34 Zentimeter verstellbar und der Bauchriemen zwischen 50 und 81 Zentimeter.
Wenn keine großen Belastungen auf das Geschirr einwirken, reichen Klettbandverschlüsse und Kunststoff-Klickverschlüsse an den Brust- und Bauchriemen. Bei Extrembelastungen aber auf jeden Fall Metallverschlüsse vorziehen. Zuggeschirre sollten zwei stabile Befestigungsringe an den Seiten haben.
Extras
Wer viel bei schlechten Lichtverhältnissen mit dem Hund Sport treibt, sollte Geschirre mit einem Reflektorstreifen an der Brust nehmen. Manche haben sogar eine spezielle Schlaufe an der Seite, in der man eine Taschenlampe unterbringen kann. Apropos Schlaufe: Falls Sie ein Geschirr mit Halteschlaufe am Rücken wählen, was Ihnen mehr Kontrolle über den Hund ermöglicht, achten Sie darauf, dass diese Schlaufe im Freilauf mithilfe eines Klettverschlusses gesichert werden kann.
Egal, welchen Sport Sie mit Ihrem Hund betreiben: Immer auf eine ausreichende Polsterung des Geschirrs achten, damit es nicht zu Scheuer- oder Druckstellen kommt. Polsterungen sind zum Beispiel aus elastischem Neopren oder weichem Fleecestoff. Reicht das nicht aus, kann man Zusatzpolster kaufen und mit ihnen den Tragekomfort des Geschirrs erhöhen.
Zeit fürs Halsband
„Beim normalen Familienhund, auf den alltägliche Anforderungen warten, spielt das Geschirr vor allem in den ersten 20 Lebenswochen eine Rolle. Solange er noch nicht leinenführig ist, wäre ein Halsband eine schlechte Wahl", warnt Ramona Teschner. Die Leinenführigkeit erarbeitet die Hundetrainerin nie über Einwirkungen am Halsband, sondern über gezielte Körpersprache und Raumkontrolle. Sobald der Welpe gelernt hat, zuverlässig auf diese Signale zu reagieren, kann er ein Halsband tragen. Anfangs sind breite, gut gepolsterte Leder-Halsbänder ideal. Bei Hunden mit langem, feinen Haar vermindern rund genähte Halsbänder den Haarbruch. „Zug-Halsbänder ohne Stopper, also Würge-Halsbänder, sind absolut zu meiden. Sie fügen Hunden unnötige Schmerzen zu, strangulieren sie und haben keinerlei positiven Lerneffekt", warnt Teschner. Das Gleiche gelte für zu dünne Halsbänder, die aufgrund der geringen Auflage-Fläche sehr scharf einwirken. Auch den so genannten Retriever-Leinen steht die Hunde-Trainerin skeptisch gegenüber. Führleine und Halsband bilden eine Einheit. Diese Leine stammt aus der Retrieverarbeit, bei der der Hund aus dem Wasser oder dem wassernahen Bereich apportieren muss. Zu diesem Zweck kann man sie mit einem Griff abstreifen, um die Verletzungsgefahr durch Hängenbleiben zu reduzieren. „Im täglichen Training sind diese Leinen jedoch wenig tauglich, weil sie aufgrund ihrer scharfen Einwirkung zur Abstumpfung des Hundes führen", befürchtet die Oberhausenerin.
Verlust der Feinfühligkeit
Die Feinfühligkeit bleibt allerdings auch auf der Strecke, wenn leinenführige Hunde, die normalerweise am Halsband geführt werden, im Alltag öfter ein Geschirr tragen. Gründe hierfür können der Wunsch nach Abwechslung, praktische Bedenken oder Mode-Trends sein. „Die Hunde lernen dadurch, zu ziehen und müssen nachgearbeitet werden, wenn sie auch in Zukunft wieder feinfühlig an der Leine laufen sollen", warnt Teschner. Deshalb solle jeder Hundehalter wirklich gut abwägen, ob der Einsatz eines Führgeschirrs für ihn und seinen Hund sinnvoll ist.
Volle Kraft voraus
Beim Man Trailing oder Fährten-Training legen sich viele Hunde ganz schön ins Zeug. Deshalb ist es auch ratsam, ein gut passendes Geschirr und kein Halsband zu verwenden.
Dennoch reagieren viele Hundehalter erstmal entsetzt, wenn die Leine plötzlich straff in den Händen liegt und der Hund mit voller Kraft nach vorne zieht. Bleibt dabei nicht die mühsam erarbeitete Leinenführigkeit auf der Strecke? Nein. Auf jeden Fall dann nicht, wenn der Hund problemlos zwischen Normalsituationen und Arbeitssituation unterscheiden kann. Dabei hilft es, im Alltag ausschließlich ein Halsband und beim Fährten- oder Man Training ein spezielles Suchgeschirr zu verwenden.
Halsband: Korrekter Sitz
Natürlich darf ein Halsband nicht zu fest, aber auch nicht zu locker sitzen. Wenn es dem Vierbeiner tatsächlich gelingt, sich mit einer geschickten Kopfbewegung des guten Stücks zu entledigen und sofort begeistert das Weite zu suchen, haben Sie ganz offensichtlich einen Fehler gemacht. Zu locker sitzende Halsbänder sind eine Fahrlässigkeit, die für den Hund lebensgefährlich werden kann. Ein Halsband sollte unter allen Umständen so fest verschnallt werden, dass sich der Vierbeiner nicht herauswinden kann. Allerdings darf es auch nicht zu fest sitzen und das ist die Kunst, die einen erfahrenen Hundehalter von einem unerfahrenen unterscheidet.
Sie können den korrekten Sitz des Halsbandes ganz einfach überprüfen: Schieben Sie zwei nebeneinander liegende Finger zwischen Halsband und Hundehals. Das Halsband sollte nun leicht auf die Finger drücken, dann sitzt das Halsband richtig.
Mit freundlicher Genehmigung:
Quelle: Unser Rassehund, Heft 8/13
Text: Gabriele Metz
Fotos: Meindl, Erb, Frey, Vorbeck